Corona-Situation in Tansania / Ilembula, Stand Anfang Juli 2020

Auszug aus dem 3. Rundbrief von Ursula und Werner Kronenberg

Die momentane Situation im Land und in Ilembula

Nachdem am 16.03.2020 wegen Covid-19 alle Kindergärten, Schulen und Universitäten geschlossen wurden, sind seit Pfingsten die Universitäten, Ausbildungsstätten (z.B. Schwesternschule hier am Krankenhaus und die Fitting School in Igula) und Sekundarschulen (Abschlussklassen) wieder geöffnet. Ab dem 29. Juni 2020 wurden auch wieder alle unteren Klassenstufen und Kindergärten geöffnet.

Alle Gruppen und Kreise in der Kirchengemeinde sind bis auf weiteres ausgesetzt. Ebenso der Konfirmandenunterricht. Alle meine geplanten Seminare in der Süddiozöse musste ich absagen. Per Zeitung, Radio und durch Verlautbarungen in den Kirchen wurden die Menschen über hygienische Maßnahmen aufgeklärt, wie sich jeder und jede Einzelne schützen kann. Mittlerweile gibt es vor jedem noch so kleinen Laden die Möglichkeit, sich die Hände zu waschen. Dazu gehört auch, dass man sich nicht mehr mit Handschlag begrüßt. Dass die Menschen hier davon so schnell Abstand nehmen würden, hätten wir nicht gedacht, ist doch das Begrüßungsritual ausführlich und herzlich. Selbst vor unserer Kirche und dem sonntäglichen Gottesdienst müssen Hände gewaschen werden und selbstverständlich vor dem Krankenhaus.

Mit der Rede des Präsidenten Magufuli am 22.03.20 in Dodoma in der St. Pauls-Kirche konnte er die allgemeine anfängliche Aufregung und Angst eindämmen und hat zu Besonnenheit aufgerufen. Er fand wohl die richtigen Worte für seine Landsleute. Wir müssen wissen, dass Glaube und Religion und damit Gottesdienste für unsere tansanischen Schwestern und Brüder so lebensnotwendig sind wie die Luft zum Atmen. Hier die Frage zu stellen, ob es Gott überhaupt gibt, ist undenkbar. Eher stellt sich die Frage, was der richtige Gott, der richtige Glaube ist. In dieser Frage steckt viel Konfliktpotenzial. Die wissenschaftliche Erforschung der Pandemie, auf die sich die Menschen in Europa verlassen, wird hier zwar wahr- und erstgenommen, aber über allem steht Gott. „Wenn wir nach seinen Geboten leben, wird Gott für uns sorgen.“, so der feste Glaube. Beim Einkaufen erzählte mir der Ladenbesitzer, dass Corona eine Strafe Gottes sei! Der Krankenhauspfarrer Simon Msambwa hingegen machte mir deutlich, dass das nicht seine Theologie sei. So sehe ich im Moment meine Aufgabe darin, in meinem Umfeld über das Virus sachlich aufzuklären, Schutzmaßnahmen zu besprechen und Verschwörungstheorien zu entkräften. In einer Predigtreihe über das Vaterunser habe ich versucht, das Thema „Glauben“ und unsere Fragen des täglichen Lebens wieder zu „erden“, um Ruhe und Gelassenheit in die aufgeregten Gemüter zu bringen. Ebenso in meinen wöchentlichen Morgenandachten in der Krankenhauskirche.

Viele Menschen hier leben von der Hand in den Mund: Was tagsüber verdient wird, braucht man, um abends für die Familie ein Essen kochen zu können. Ein kleines Beispiel aus Ilembula: Vor dem Krankenhaus verkaufen Frauen selbstgebackene Mandazi (Krapfen) oder Samosas (gefüllte Teigtaschen). Die sind sehr beliebt bei Schwesternschülerinnen und -schülern, die in ihren Pausen gerne dorthin schlenderten und den lecker in Fett ausgebackenen Pausensnack kauften. Während der Schulschließung fielen für die Frauen diese Einnahmen weg. An anderen Orten ist aber gerade das ein wichtiger Absatzmarkt. Nur ein kleines Beispiel, aber signifikant dafür, was ein Lock-Down für dieses Land bedeuten würde. Dann würde nicht an Corona gestorben, sondern an Hunger! Im Citizen TV Report vom 22.03.20 sagte Präsident Magufuli: „The pandemic should not be used as an excuse to harm Tanania’s economy.“

Krankenhäuser in Ilembula, Matema und Itete

Durch die Betreuung der chirurgischen Abteilungen von llembula, Matema und Itete komme ich regelmäßig in diese drei Krankenhäuser. So hatten wir in den letzten Monaten nur vereinzelnd Corona Patienten zu betreuen. Ein vermehrtes Aufkommen an Patienten konnte nicht beobachtet werden. Auch gab es keine Übersterblichkeit in der Region. In allen Häusern wurden Hygienemaßnahmen eingeführt. So tragen alle Besucher, Patienten und Mitarbeiter Masken und im Eingangsbereich findet das Waschen der Hände statt. Anfangs war die Belegung in den einzelnen Häusern deutlich zurückgegangen. Jetzt hat sich die Situation wieder normalisiert. Es scheint als sei die Altersstruktur des Landes der entscheidende Faktor, da es nicht so viele alte Menschen in diesem Land gibt. In Deutschland liegt der Anteil von Menschen über 65 Jahre bei 21%, in Tansania bei nur 3%. Schlussfolgerung: Corona ist da, aber auf Grund der Altersstruktur sehen wir viel weniger schwere Verläufe.

 

Ankunft der Masken, genäht von einer lutherischen Frauengruppe in Morogoro

Darstellung des Kontinentes in der Presse

Man konnte den Eindruck gewinnen, nachdem in Deutschland und Europa der erste Schrecken über die Corona-Pandemie verarbeitet war und die Menschen eingeübt waren in die Sicherheitsmaßnahmen, dass sich das öffentliche Interesse auf den afrikanischen Kontinent verschob. In den letzten Wochen wurde viel darüber geschrieben, wie „Afrika“ mit der Corona- Pandemie umgeht, Hochrechnungen für Todeszahlen wurden kalkuliert und Vorgehensweisen kritisiert. Über diese Berichterstattung können wir nur immer wieder staunen.

In diesen Tagen war im Spiegel ein Artikel von Bartholomäus Grill zu finden, der sehr gut unsere Sicht auf die Dinge beschreibt (Adieu Afrika, Spiegel Nr. 24 vom 06.06.2020, Hervorhebungen U.K.):

Afrika wird nach wie vor als EIN Land wahrgenommen, als monolithische Krisenmasse, nicht als vielfältiger Erdteil mit 2000 Sprachen und 54 Nationen, die sich höchst unterschiedlich entwickelt haben. Es gibt ‚failed states‘, durch Bürgerkriege ruinierte Staaten wie Somalia, Länder wie Kenia, die sich irgendwie durchwursteln; politisch stabile Länder wie Namibia oder Ghana. Schließlich Länder, die wirtschaftlich erfolgreich sind: Botswana, Äthiopien, Ruanda, Tansania. […]

Afrika liefert Rohstoffe und unverarbeitete Agrarprodukte, die Wertschöpfung findet anderswo statt. Zudem wird seine fragile Landwirtschaft durch hochsubventionierte Billigimporte aus der EU schwer geschädigt. Andererseits: Das schnelle Bevölkerungswachstum könnte vom Fluch zum Segen werden, wie das Beispiel der asiatischen Tigerstaaten lehrt. Dort hat die hohe Zahl von arbeitsfähigen jungen Menschen bei einem geringen Anteil von Alten in Kombination mit einer zielgerichteten Industriepolitik einen wirtschaftlichen Entwicklungsschub ausgelöst, der wiederum zu einem Rückgang der Geburtenraten führte. […] Die demografische Dividende setzt allerdings eine bessere Bildungspolitik und Bevölkerungsplanung voraus. […]

Mein Leitspruch: Die Lage ist ernst, aber keineswegs aussichtslos. Afrika birgt gewaltige Potenziale: Der rohstoffreiche Kontinent hat fruchtbares, aber großflächig untergenutztes Agrarland. Und es hat eine junge, schnell wachsende Bevölkerung. Schon im Jahr 2050, wenn geschätzte 2,5 Milliarden Menschen in Afrika leben werden, wird dieser Erdteil jeden vierten Weltbürger beheimaten. Das Zerrbild, das sich die Außenwelt von Afrika macht, speist sich nach wie vor aus den in der Kolonialära geprägten Stereotypen. Sie blenden die enormen Entwicklungssprünge in jüngster Zeit aus. […]

Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme: Dieses Motto hat sich die Afrikanische Union auf ihre Fahnen geschrieben. Mit der Agenda 2063 will sie eine kontinentale Freihandelszone schaffen, einen Erdteil ohne Grenzen, der dann der geografisch größte integrierte Wirtschaftraum der Welt wäre. Ob der Aktionsplan wieder nur eine leere Versprechung bleibt, wird sich zeigen. Die Erblasten sind enorm. Der Kontinent leidet immer noch unter den Spätfolgen des Kolonialismus; er ist nach wie vor marginalisiert, hat auf der geopolitischen Bühne wenig zu melden und wird massiv benachteiligt von einem ungerechten Weltwirtschaftssystem: […] Viele Prognosen bedienen das ewige Klischee, dass Afrika ein Weltsozialfall bleiben werde.

Sollte indes die nächste Führungsgeneration fundamentale Reformen verwirklichen, könnte sich Afrika in einen Kontinent der Zukunft verwandeln. Davon sind die afrikanischen Vordenker des Postkolonialismus überzeugt. In seinem Buch ‚Afrotopia‘ fordert etwa der senegalesische Sozialwissenschaftler Felwine Sarr seine Landsleute auf, ihren Minderwertigkeitskomplex zu überwinden und ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. […]

In diesen Tagen aber liegt mit dem Virus eine unberechenbare Gefahr über dem Kontinent. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die Pandemie die globale Kluft zwischen armen und reichen Staaten vertiefen wird. […] Man braucht positive Erfahrungen und starke Gegenbilder, um solche Tiefpunkte zu überwinden. Es gibt Kollegen, die in Afrika den Glauben an die Menschlichkeit verloren ha ben – ich habe ihn auf diesem Kontinent gefunden: in der Willkommenskultur der Afrikaner und Afrikanerinnen, in ihrer Hilfsbereitschaft und Offenherzigkeit. Und in ihrer Resilienz, also der Fähigkeit, den widrigsten Umständen zu trotzen. […]

Und wenn ich in verstaubten afrikanischen Universitätsbüros altehrwürdigen Professoren […] gegenübersaß und sie von der jahrtausendealten Geschichte und den Traditionen ihres Kontinents erzählten hörte, fragte ich mich oft, selbst nach Jahrzehnten als Korrespondent: Was wissen wir schon über Afrika?